Pressestimmen

Gutes von daheim 9 Die Fee vom Schlehengelee Wie es duftet, wie es schmeckt bei Stefanie Weichsberger aus dem Unterallgäu. Sie sammelt Schwarzdornbeeren, aus der Familie der Rosengewächse. Wir probieren mal. TEXT: CHRISTINE SCHULZ-REISS FOTOS: FLORIAN BACHMEIER Handschuhe? Stefanie Weichsberger versteht die Frage nicht ganz. Dann lässt sie ihr lebenslustiges Lachen hören. „Nein, Handschuhe zieh ich nicht an. Dann gibt’s halt ein paar Kratzer“, sagt sie – und greift sogleich beherzt hinein in den „lebenden Stacheldraht“. So nennt der Volksmund die Schlehenbüsche. Sie wehren sich gegen jeden, der ihnen zu nahe kommt, mit ihren garstigen Dornen. Diese sind so spitz und dünn, dass ein Vogel namens Neuntöter Schlehenbüsche als Speisekammer benutzt. Und das geht so: Beute wie Insekten oder kleine Mäuse, die er nicht gleich verzehrt, spießt er an ihnen auf. Ganz schön schlau. Stefanie Weichsberger scheut die Stacheln nicht. Geschickt pflückt sie mit flinken Fingern die schwarzblauen Beeren von den Ästen des Strauchs. Heute ist sie im Dickicht eines Biotops unterwegs, wenige Kilometer von ihrem Dorf Hetzlinshofen entfernt, das liegt im Unterallgäu, nächste Stadt ist Memmingen. „Probieren Sie mal“, fordert sie uns mit schelmischem Blick auf. ZURÜCK ZU DEN STRÄUCHERN Brrrr, was ist das denn? Ein Biss in die fast kirschgroße Beere, schon ziehen sich Zahnfleisch und Schleimhäute zusammen. Sie lacht: „Das sind die Gerbstoffe. Je länger es vor dem Pflücken Frost gibt, umso mehr verliert sich die Säure und wandelt sich in Zucker um. Es war heuer noch nicht kalt genug.“ Macht nichts, die Allgäuerin steckt ihre Ausbeute dann eben erst mal ins Gefrierfach, bevor sie daraus Gelee, Marmelade, Sirup und Likör zaubert. Für Stefanie Weichsberger haben Schlehen eine ganz besondere Bedeutung: Diese kleinen, mineralhaltigen Vitamin-C-Päckchen, die verarbeitet nach Bittermandel, Pflaume und Kirsche schmecken, gaben ihrem Leben eine Wende. Wirklich, wegen der Schlehen schmiss die studierte Ernährungstechnikerin, die industriell Suppen und Soßen entwickelte, ihren Angestelltenjob vor sieben Jahren hin. Sie hatte ein neues Ziel. „Ich hab mich wild wachsenden Beeren, Obst und Kräutern verschrieben.“ Von April bis in den November ist sie – mittlerweile unterstützt von sechs Frauen aus den Nachbardörfern – auf Wiesen, in Wäldern und an Hecken unterwegs, sucht und sammelt Löwenzahn, Wildrosenblätter, Kornelkirschen, Felsenbirnen, Waldhimbeeren, Hagebutten und was Mutter Natur sonst noch an Genießbarem zu bieten hat. Insbesondere: Schlehen. Die sind ganz am Ende dran, bis tief in den November. In ihrer Küche wird die von Hand gepflückte Ausbeute entsaftet, gekocht, mit der Flotten Lotte ausgepresst, alles kommt in die Gläser, und es wird Trester für Liköre angesetzt. „WER IM MAGEN SCHWACH IST …“ Überrascht hören wir, dass Stefanie Weichsberger ihre geliebten Schlehen anfangs gar nicht kannte. „Eine Nachbarin klärte mich auf. Bei uns zuhause gab’s das nicht. Weder meine Oma noch meine Mutter haben jemals Schlehen gekocht.“ Immerhin haben Schlehen eine große Vergangenheit. Bei Ausgrabungen fand man haufenweise Schlehenkerne in den Revieren von Steinzeitmenschen. Hildegard von Bingen (1098–1179), die Universalgelehrte aus Bingen am Rhein, empfahl: Süßt Schlehen mit Honig, das hilft gegen Gicht. Die Kräuterkundige notierte: „Wer im Magen schwach ist, der brate Schlehen oder koche sie in Wasser und esse sie oft. Dies führt Unmut und Schleim vom Magen ab. Wenn er ihre Kerne mitisst, wird es ihm nicht schaden.“ Die Gerbstoffe in den rohen Früchtchen helfen gegen entzündetes, blutendes Zahnfleisch. Und Hokuspokus gab es um die Schlehen auch: Früher glaubten die Menschen, sie würden Hexen fernhalten, und nagelten die stacheligen Zweige vor der Walpurgisnacht an die Türen der Ställe. Die Schlehe, auch Schleh- oder Schwarzdorn genannt, ist ein Steinobstgewächs aus der Familie der Rosen, quasi die „Mutter“ aller Zwetschgen, Pflaumen und Mirabellen, die aus ihnen gezüchtet wurden. Wir probieren Stefanie Weichsbergers Schlehengelee. Ergebnis: Davon will man gern mehr haben, am liebsten sofort. Liebe Gelee-Fee, dürfen wir naschen? Wenn Stefanie Weichsberger ihr Schlehengelee abfüllt, duftet die ganze Küche nach einer Mischung aus Bittermandel, Pflaume und Kirsche. Mit kariertem Tüchlein fein herausgeputzt, wandern die Gläser neben die anderen fruchtigen Köstlichkeiten in die Kellerregale. SCHLEHENGELEE Rezept von Stefanie Weichsberger ZUTATEN 2 kg Schlehen, 300 ml Wasser, 1 kg Gelierzucker 1:1 ZUBEREITUNG Schlehen waschen, Stiele und Blätter entfernen. Im Entsafter über Dampf bei mittlerer Hitze 40 Minuten entsaften, das ergibt ca. 700 ml. In einen Topf geben, dazu 300 ml Wasser geben. Gelierzucker einrühren und auflösen. Unter Rühren 4 Minuten kochen. Gelierprobe machen: 1 Löffel Gelee auf einen Teller geben und abkühlen lassen, Gelee darf nicht mehr fließen. Heiße Twist-off-Gläser mit Trichter oder Schöpfkelle bis unter den Rand füllen. Gläser sofort verschließen. Für ca. 15 Minuten auf den Kopf stellen. Im ungeöffneten Glas hält das Gelee ungefähr 24 Monate. ✽ Weichsberger Manufaktur Weiherstraße 20, 87760 Lachen-Hetzlinshofen, Tel.: 08331/984 67 31 oder 0162/814 65 25; keine festen Öffnungszeiten, bitte vorher anrufen. www.weichsberger.de